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Stellungnahme auf öffentlicher Anhörung zum NetzDG

Stellungnahme auf öffentlicher Anhörung zum NetzDG

Stellungnahme von Dr. Matthias C. Kettemann als Sachverständiger für die öffentliche Anhörung zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz auf Einladung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 15. Mai 2019.

Zentrale Aussagen

1. Der Prozess um die Verabschiedung des NetzDG hat die Debatte um die Rechtsdurchsetzung in privaten Kommunikationsräumen mit Relevanz für öffentliche Kommunikation nachhaltig befeuert. Mit Blick auf die vorliegenden Anträge und die Debatte im Rechtsausschuss, sowie unter Rückgriff auf die substanzielle wissenschaftliche Literatur und die von einer großen Mehrheit gesellschaftlicher Akteure geäußerte Kritik verfügt der Gesetzgeber nun über eine ausreichende Wissensbasis, um das NetzDG weiterzuentwickeln.

2. Aus rechtswissenschaftlicher Sicht erscheint es geboten, eine grundrechtssensible, gefahrenadäquate und zeitgemäße Regulierung der Anbieter sozialer Netzwerke im Kontext eines gewandelten Mediennutzungsverhaltens der Bevölkerung anzustreben. Als Ziel dieses Prozesses erscheint eine sensibel aufeinander abgestimmte Plattform- und Telemedienregulierung naheliegend, die besonders gefährdete Gruppen schützt und das Internet als Raum der Ausübung der Grundrechte sichert. Darüber hinaus ist bei gesetzgeberischen Ansätzen an die Plattformregulierung stets der europarechtlich verbindliche Grundsatz der Haftungsprivilegierung für Diensteanbieter mitzudenken, der eine normative Grenze darstellt.

3. Im Prozess der parlamentarischen Befassung mit dem NetzDG sollte die auch von Deutschland verabschiedete Empfehlung (2018)2 des Ministerkomitees des Europarates an Mitgliedstaaten zu der Rolle und Verantwortung von Internet-Intermediären eine Rolle spielen.

4. Das NetzDG zielte ab auf die verbesserte Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken. Ob es dieses Ziel erreicht hat, kann mangels empirischen Datenmaterials nicht belastbar festgestellt werden. Indes hat das NetzDG aber sicher dazu geführt, dass die Debatte um die Governance von Meinungsäußerungen bei Anbietern sozialer Plattformen stärker öffentlich geführt wird. Darüber hinaus haben Plattformanbieter – nicht nur, aber auch – wegen des NetzDG in ihre Moderationskapabilitäten für den deutschen Sprachraum investiert und diesen unverhältnismäßig stärker ausgebaut. Dank der Debatten um das NetzDG – und des gesellschaftlich eingeforderten transparenteren Auftretens wichtiger Diensteanbieter – ist der Erkenntnisstand über die Filterpraktiken weit höher als zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes.

5. Die vom NetzDG eingeforderten Transparenzberichte sind hilfreich, aber noch zu wenig aussagekräftig, die Pflichtangaben im Gesetz sind zu wenig konturiert. Zu wichtigen Fragen lassen sich nach derzeitigem Forschungsstand keine empirisch belastbaren Aussagen tätigen. Wenn vom Bundestag gewünscht wird, dass konkrete Aussagen zur Wirkung des NetzDG getroffen werden können (was sinnvoll ist), dann müssen die Anforderungen an die Transparenzberichte steigen.

6. Die zentralen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das NetzDG beziehen sich bekanntlich auf die Vereinbarkeit der faktischen Inzentivierung von „Overblocking“ (zur Vermeidung der Haftung in Zweifelsfällen) mit dem Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit. Diesem strukturellen Ungleichgewicht zulasten der Meinungsäußerungsfreiheit ist im Lichte der Bedeutung der Balance zwischen Grundrechten entschieden entgegenzutreten. Mögliche Schritte umfassen eine Reduktion der Liste der vom Gesetz erfassten Tatbestände, zumindest die Entfernung der Antragsdelikte, sowie die Einführung eines einfach zu handhabenden Wiederherstellungsanspruchs für fälschlich gelöschte Inhalte.

7. Eine privatisierte Rechtsdurchsetzungsstruktur, wie sie das NetzDG vorsieht, spiegelt die Bedeutung der hybriden privaten Räume mit entscheidender Relevanz für die private wie öffentliche Kommunikation nicht wider. Gesetzgeberseitig ist stets in Erwägung zu ziehen, inwieweit das “Policing” von Meinungsäußerungen im Internetkontext in die Hände privater Akteure gegeben werden soll, deren Rolle zwischen Staat und Menschen noch nicht ausreichend rechtlich konturiert wurde.

8. Das BfJ ist nicht die geeignete Stelle, um mittels Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Transparenzberichte als Steuerungsinstrumente einzusetzen. Als abhängige Behörde ist seine Rolle problematisch, da ein ministerieller Durchgriff zur Sanktionierung einzelner NetzDG-Umsetzungsansätze bei Diensteanbietern vom Gesetz her nicht ausgeschlossen ist. Auch die gesetzlich vorgesehene Einrichtung der regulierten Selbstregulierung wurde bisher noch nicht vom BfJ zertifiziert, obwohl seit Dezember 2018 ein Antrag der FSM vorliegt.

9. Noch immer wurde, soweit bekannt, weder eine umfassende Gesetzesfolgenabschätzung noch ein menschenrechtliches Impact Assessment durchgeführt. Aussagen zu ministeriellem Gesetzesmonitoring drangen bislang nicht an die Öffentlichkeit. Der Prozess der Evaluierung des NetzDG scheint ohne umfassende Rückbindung an bestehende Debatten in der Rechts-und Medienwissenschaft angestoßen worden zu sein. So zeichnet sich ab, dass Löschungen von rechtswidrigen Inhalten ohne Strafverfolgung zu Wiederholungsakten motivieren nicht zu einem Umdenken führen; damit steht der Regelungszwecks des NetzDG in einem Spannungsverhältnis zu den Regelungsinhalten.

10. Anzudenken wäre, dass die parlamentarische Befassung mit dem NetzDG auch neuere wissenschaftliche Erkenntnisse zu Mediatisierung und Medienkonvergenz sowie zur Priorisierung medienvermittelter Kommunikation abwägt. In der nachhaltigen Reform der Medien-und Kommunikationsordnung Deutschlands und Europas liegt wohl ein zentraler Schlüssel zur Sicherung gesellschaftlichen Zusammenhalts für das nächste Jahrzehnt. Die Neubefassung mit dem NetzDG ist in diesem Licht zwar nur ein erster, aber dennoch ein sehr wichtiger Schritt.

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