In der Woche vor Ostern veröffentlichte ein vierköpfiges Team von Kommunikationswissenschaftler*innen der Universität Münster auf der Preprint-Plattform arxiv.org das Arbeitspapier „Pandemic Populism: Facebook Pages of Alternative News Media and the Corona Crisis – a Computational Content Analysis“. Wie viele Beiträge zur Corona-Pandemie aus anderen Disziplinen ist auch dieses Paper noch nicht durch ein förmliches Peer Review gegangen. Dennoch – oder gerade deswegen – lohnt sich aber die Auseinandersetzung mit der berichteten Studie.
Vorbemerkung: Dieser Blogeintrag basiert zu weiten Teilen auf meiner Stellungnahme, die das „Science Media Center Germany“ angefragt hat. Sie ist – mit einer Reihe weiterer Stellungnahmen zu dem Münsteraner Arbeitspapier – auf der Homepage des SMC abrufbar.
Worüber berichtet das Paper? Die Autor*innen (Svenja Boberg, Thorsten Quandt, Tim Schatto-Eckrodt und Lena Frischlich) haben alle Facebook-Beiträge von 32 „alternative news media sites“ (im Folgenden: Alternativmedien), von 78 regionalen und überregionalen Online-Tageszeitungen sowie von zwei „fact-checking“-Seiten (Mimikama und Correctiv) zwischen dem 7. Januar und dem 22. März erfasst (vgl. Abschnitt 4.1 zum Vorgehen; die vollständige Liste der Angebote ist ebenfalls verfügbar). Mit Hilfe von einschlägigen Stichwörtern und Hashtags haben sie daraus automatisiert alle Beiträge ermittelt, die mit der COVID-19-Pandemie in Verbindung stehen.
Diesen Datensatz von insgesamt über 20.000 Facebook-Einträgen haben sie dann verschiedenen Analysen unterzogen: a) ein Vergleich der Verbreitung und Resonanz der Corona-bezogenen Beiträge zwischen Alternativmedien und etablierten Medien; b) eine Identifikation von wiederkehrenden Themen in den Beiträgen der Alternativmedien; c) eine Analyse von besonders häufig erwähnten Akteuren und den mit ihnen in Verbindung stehenden Begriffen; sowie d) ein Abgleich welche von Fact-Checking-Seiten „enttarnten“ Falschmeldungen von den Alternativmedien aufgegriffen wurden.
Wie schätze ich die Studie ein?
Vorweggeschickt sei, dass ich mangels tiefergehender Kenntnisse das Vorgehen beim Topic Modelling sowie der co-occurrence-Analyse nicht bis ins letzte Detail beurteilen kann. Dennoch halte ich die Studie für einen interessanten, fundierten und relevanten Beitrag zur (sozial-)wissenschaftlichen, aber auch zur gesellschaftlichen Debatte rund um die COVID-19-Pandemie. Sie ist methodisch sauber durchgeführt, transparent dokumentiert und offen im Umgang mit den Grenzen der eigenen Befunde. Sie hilft uns dabei, die Bedeutung sowie die kommunikativen Mechanismen von „Alternativmedien“, die sich der digitalen Medien und insbesondere Facebook bedienen, besser zu verstehen. Der Erklärungswert der Studie wird noch steigen, wenn weitere Studien die hier betriebenen Analysen für andere Zeiträume, andere Plattformen oder auch andere Länder durchführen und vergleichend bewerten werden.Wie ordne ich die Befunde ein?
Paradoxerweise sind alternative Medienangebote wie z.B. Sputnik, Compact, Achse des Guten oder Kritische Wissenschaft mittlerweile selbst etablierter Bestandteil digitaler Öffentlichkeit. Dort hat der professionell-redaktionell organisierte Journalismus seine unangefochtene Position als „Gatekeeper“, der den Zugang zu Öffentlichkeit über die Auswahl und Prüfung von Informationen reguliert, eingebüßt. Alternativmedien profitieren davon, dass die Hürden deutlich gesunken sind, Informationen aller Art zur Verfügung zu stellen und zu verbreiten.Das alleine garantiert ihnen zwar noch keine Reichweite, aber die Mechanismen der (oft algorithmisch) personalisierten Informationsfilterung sorgen dafür, dass ihre Angebote in teils sehr eng umgrenzten Interessensgruppen oder „alternativen epistemischen Gemeinschaften“ – etwa unter Anhängern von Verschwörungstheorien – zirkulieren können. Zudem bieten die digitalen Medien die Möglichkeit, dass sich auch die vergleichsweise kleine Publika über zielgruppenspezifische Werbung monetarisieren lassen und somit eine ökonomische Grundlage für solche Nischenprodukte existiert.
Drei Schlussfolgerungen
Das Working Paper hilft uns dabei, die Bedeutung von Alternativmedien für die Meinungsbildung während und zur COVID-19-Pandemie zu verstehen. Zwar hat die Studie nicht Meinungsbildung an sich untersucht, denn sie hat keine Einstellungen oder Haltungen der Menschen zu den derzeitigen Entwicklungen oder anstehenden Entscheidungen erfragt. Allerdings nimmt sie eine wesentliche Voraussetzung dafür in den Blick: Die öffentliche Kommunikation von Informationen und Themen zu COVID-19 und den Konsequenzen. Hierzu erlaubt die Studie einige Schlußfolgerungen:
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Die Studie ordnet den Stellenwert alternativer Medien (im Beobachtungszeitraum, auf Facebook) ein – etablierte journalistische Angebote wiesen demnach absolut wie auch im Durchschnitt einzelner Seiten bzw. Beiträge eine höhere Reichweite auf (einzig bei der durchschnittlichen Zahl der Weiterleitungen pro Beitrag lagen alternative Medien gleichauf). Dieser Befund liegt im Einklang mit Ergebnissen anderer aktueller Analysen, etwa der (bislang allerdings nur als Pressemitteilung veröffentlichten) Befragung von Viehmann/Quiring/Ziegele; Kollege Sascha Hölig geht in einem anderen Beitrag des Bredowblogs ebenfalls auf dieses Thema ein.
- Der Befund, dass die Alternativmedien (im Beobachtungszeitraum, auf Facebook) nahezu keine „fake news“ – verstanden als „totally or partially fabricated news items“ (S. 16) – zu Corona verbreiteten, mag auf den ersten Blick beruhigen. Doch dies heißt nicht, dass solche bewusst in Umlauf gebrachte Desinformation nicht an anderen Stellen auf Facebook oder auch in anderen sozialen Medien zirkuliert, wie etwa eine aktuelle Analyse eines Wissenschaftler-Teams aus Oxford oder auch die stetig anwachsenden Sammlungen entsprechender „Fact Checks“ von Redaktionen wie Correctiv oder dem „Faktenfinder“ der Tagesschau zeigen.
Und zudem: Auch wenn explizite Desinformation nur einen kleinen Anteil der Berichterstattung bei Alternativmedien einnimmt, kann sie von dort aus in einem "secondary distribution system" (S. 16) kursieren und weitere Kreise ziehen (diese Beobachtung steht nicht im Fokus der empirischen Analyse des Arbeitspapiers, wird aber am Ende angesprochen). Denn wenn z.B. Verschwörungstheorie-nahe Influencer oder populistische Politiker*innen entsprechende Meldungen aufgreifen und an ihr eigenes Publikum verbreiten, werden sie dort in der Regel nicht mehr hinterfragt.
- Die Studie verdeutlicht die spezifischen publizistischen Mechanismen der Alternativmedien: Sie betten in ihrer Berichterstattung Aspekte der Pandemie in „alternative Erzählungen“, indem sie Informationen aufgreifen und Akteure zu Wort kommen lassen, die nicht durch den Filter der etablierten Medien gelangen. So können sich die Alternativmedien als kritische Gegenstimme zum vermeintlichen „Mainstream“ inszenieren: „These outlets are (..) characterized by commenting and criticizing the orthodox, majority perspective (…). In some ways, alternative news media function much like a photo negative of what and how the large mainstream media reports on: the outlines are the same, but they are mirrored with reversed colors“ (S. 17).
Populistische Frames
Die publizistische Strategie, sich auf Themen und Ansichten zu konzentrieren, die der etablierte Journalismus nicht behandelt, ist nicht per se problematisch, trägt sie doch – grundsätzlich gesprochen – dazu bei, die Vielfalt verfügbarer Informationen, Stimmen und Deutungsangebote zu erhöhen. Doch zwei Entwicklungen sind gerade im Kontext der COVID-19-Pandemie bedenklich: Erstens lässt sich beobachten, dass alternative Medienangebote auch solche Informationen verbreiten, die nicht durch wissenschaftliche Forschung gestützt sind. Dies kann Zweifel und Verwirrung unter den Menschen fördern, im schlimmsten Fall sogar zu gesundheitlichen Schäden führen – etwa wenn ohne medizinische Evidenz gemutmaßt wird, ein Malaria-Medikament könne die Viruserkrankung lindern.Und zweitens, so auch eine der wesentlichen Schlußfolgerungen des Working Paper, sind die einzelnen Meldungen der Alternativmedien meist im Kontext übergeordneter populistischer Deutungsrahmen („Frames“) und Weltbilder zu sehen. Die Pandemie wird etwa „durch die Brille“ der Flüchtlingsdebatte gedeutet, oder als weiterer Beleg für ein vermeintliches Versagen der politischen Eliten herangezogen, oder dazu benutzt, um die eingeübte Abwertung des Aktivismus gegen den Klimawandel fortzusetzen. In Summe bestärken die Alternativmedien damit politische und gesellschaftliche Strömungen, die eine „Vielfalt von Sichtweisen“ und „Alternativen“ letzlich nur als rhetorische Strategie verwenden, tatsächlich aber liberale, offene Gesellschaften und einen faktenbasierten Umgang mit den Herausforderungen unserer Zeit bekämpfen wollen.