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„Liebes Publikum …“ – Arts-Based Research in der Journalismusforschung

„Liebes Publikum …“ – Arts-Based Research in der Journalismusforschung

08.12.2020

Zeichnen oder kreatives Schreiben sind als wissenschaftliche Erhebungsmethoden zwischen den klassischen Befragungen und Inhaltsanalysen eher die Ausnahme. Einige Forscher:innen fordern jedoch mehr Methodeninnovation. Warum diese gerade für die Journalismusforschung wertvoll sein kann, wissen Friederike Deichsler und Wiebke Loosen.
 
Kann es eine probate Methode in der Journalismusforschung sein, Journalist:innen einen Liebesbrief an ihr Publikum schreiben zu lassen? Diese Überlegungen standen im Sommersemester 2020 im Mittelpunkt eines Seminars im Masterstudiengang Journalistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg. Eine von uns Autorinnen hat daran als Studentin teilgenommen (Friederike Deichsler), die andere (Wiebke Loosen) hat es geleitet.
 
Journalismus braucht ein Publikum – so viel steht fest. In der Journalismusforschung ist diese Beziehung jedoch erst im Zuge des fortschreitenden Medienwandels so richtig in den Fokus gerückt. Gleichzeitig steht die Forschung damit vor der Herausforderung, auf eine immer vielfältigere Medienwelt zu reagieren. Tamara Witschge und Mark Deuze (2020) stellen in einem Essay sogar die These auf, dass die vielfach vorherrschende düstere Sichtweise auf den Journalismus auch das Ergebnis einer zu begrenzten Sichtweise der Forschung auf das Feld sei, die der Dynamik und Vielfalt journalistischer Praktiken nicht gerecht werde. Höchste Zeit und Gründe genug also, auch bei der empirischen Erforschung der Beziehung zwischen Journalismus und Publikum neue Wege auszuprobieren.
 
Kooperativer, inklusiver und experimenteller forschen
Der sogenannte „arts-based research“, ein Ansatz aus der qualitativen Sozialforschung, verknüpft wissenschaftliche und künstlerische Vorgehensweisen. Dabei werden die „Erforschten“ als Partner:innen auf Augenhöhe betrachtet und nehmen selbst eine aktive Rolle ein. Unter anderem Sander Hölsgens et al. (2020) haben vorgeschlagen, „arts-based research“ auch in der Journalismusforschung einzusetzen, um sie kooperativer, inklusiver und experimenteller zu gestalten. Das Besondere an dieser Vorgehensweise – die Einbindung künstlerischer Elemente und kreativer Aufgabenstellungen – passe besonders gut zu Journalist:innen, die in der Regel von Berufs wegen gerne kreativ seien, begründen die Forscher:innen. Witschge et al. (2019) setzten dies praktisch um, indem sie Journalist:innen im Rahmen eines Forschungsprojekts Kündigungsschreiben an ihren Beruf formulieren oder sich selbst als Objekt im öffentlichen Raum zeichnen ließen. Diese Beispiele zielen vor allem auf das Selbstverständnis von Medienschaffenden, die Methoden lassen sich jedoch auch auf andere Fragestellungen übertragen.
 
Kreativität und Emotionen freisetzen
Inspiriert von der Vorstellung, dass die Beziehung zwischen Journalist:in und Publikum einer Partnerschaft oder Freundschaft durchaus ähnlich ist, und dass Journalismus jedenfalls nicht ohne Publikum denkbar ist (Loosen/Schmidt 2012) wurde von den Hamburger Masterstudierenden die Idee entwickelt, Journalist:innen eine Liebesbotschaft oder eine „Break-Up“-SMS an ihr Publikum schreiben zu lassen. Sie sollten ihrem Publikum also entweder ihre Gefühle gestehen oder mit ihm Schluss machen. Diese Aufgabe wurde von den Journalist:innen im Rahmen von Methodentests interessiert und abwechslungsreich umgesetzt:
 
„Du bist für mich nicht nur ‚Publikum‘, sondern ein guter Bekannter auf Augenhöhe! Ich stehe keinen Millimeter über Dir oder bin kein Gramm besser als Du!“ (P3)
 
„Ich bin ein Dienstleister für Dich und liefere die neuesten Nachrichten und Hintergrundinfos in Dein Wohnzimmer!“(P3)
 
„Du bist für mich der Leser, der meine Texte erst zum Leuchten bringt, weil du sie annimmst und für dich interpretierst. Du ziehst dir die Infos oder Unterhaltung, die du dir wünscht, und lässt mich so für einen Augenblick in dein Leben, wie eine große Schwester oder eine Ratgeberin – das ist ein schönes Gefühl!“ (P14)
 
Das Resultat dieser Feldphase, in der die Methoden getestet wurden, waren 14 Liebeserklärungen, in denen die Journalist:innen sich selbst als Freund:in, Partner:in, Schwester, Familienmitglied, Ratgeber:in, Sprachrohr, Inspiration oder Anwalt ihres Publikums beschrieben. Sehr häufig brachten Journalist:innen Dankbarkeit für das entgegengebrachte Interesse und die Aufmerksamkeit zum Ausdruck, aber auch für Zuspruch und Feedback. In manchen Botschaften wurde aber auch deutlich, dass Journalist:innen ernüchtert oder verunsichert sind, weil sie nicht wissen, was das Publikum möchte, oder sie sich von ihm entfernt fühlen.
 
„(…) es ist ein besonderes Verhältnis, das uns verbindet. Denn wir kennen uns zwar, aber nicht wirklich. Eine mitunter schwierige Beziehung, einseitig, mit Vorurteilen behaftet… aber wir brauchen uns dennoch.“(P9)
 
„Manchmal war ich ernüchtert, weil du zu schüchtern warst, dich zu erkennen zu geben.“ (P7)
 
„Wir können voneinander lernen – also komm auf mich zu und interagiere mit mir. Reibe dich mit meinen Meinungen und lass mich an Anekdoten teilhaben, die dir zu meinen Texten einfallen.“ (P7)
 
Es hört nicht bei der Erhebung auf
Die individuellen und oft sehr emotionalen Einblicke, die durch solche Aufgabestellungen entstehen, erfordern allerdings auch besondere Methoden der Auswertung. Aus Kündigungsschreiben – oder Liebeserklärungen – von Journalist:innen lässt sich beispielsweise eine Art Musterbrief mit den häufigsten Aussagen und Inhalten formulieren (Witschge et al. 2019). Das wiederum bedeutet, dass sich Vorgehen und Ergebnisse nicht immer in die Form eines herkömmlichen wissenschaftlichen Aufsatzes gießen lassen. Dennoch hat sich gezeigt, dass „arts-based research“ sehr gewinnbringend für die Journalismusforschung sein kann.
 
Auch in der Publikumsforschung ist der Einsatz solcher Methoden definitiv vorstellbar. Briefe an Redaktionen können Zuschauer:innen oder Leser:innen ja bereits schreiben. Aber wie wäre es zum Beispiel, wenn sie ihr Bild von Journalist:innen zum Ausdruck zu bringen könnten, indem sie diese als Tiere zeichnen oder aus verschiedenen Elementen ihre ideale Zeitung zusammenstellen? Hier liegt großes Potenzial für die Medien- und Kommunikationsforschung, verschiedenste Aspekte besser beleuchten und vielleicht sogar neue Forschungsfelder erschließen zu können.

Bild: Karolina Grabowska / pexels
 

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