Für den Forschungsüberblick wurde eine umfassende Literaturrecherche durchgeführt und einschlägige Studien aus dem Zeitraum 2006-2016 ausgewertet. Der Bericht bündelt den Forschungsstand zum Gesundheitsinformationsverhalten (allgemein und im Krankheitsfall) sowie Erkenntnisse zur Verbreitung von Gesundheitsinformationen. Sowohl die theoretischen Modelle als auch die empirischen Befunde geben wichtige Hinweise darauf, wie sich Patientinnen und Patienten informieren und über welche Kommunikationskanäle sie mit welchen Themen erreichbar sind.
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Publikation:
Rossmann, C.; Lampert, C.; Stehr, P.; Grimm, M. (2018): Nutzung und Verbreitung von Gesundheitsinformationen. Ein Literaturüberblick zu theoretischen Ansätzen und empirischen Befunden. Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung. DOI 10.11586/2017051
Die Synopse wird ergänzt durch die qualitative Studie "Die Suche nach Gesundheitsinformationen - Patientenperspektive und Marktüberblick" sowie die quantitative Untersuchung "Das Internet: Auch Ihr Ratgeber für Gesundheitsfragen? Bevölkerungsbefragung zur Suche von Gesundheitsinformationen im Internet und zur Reaktion der Ärzte". Die Berichte zur allen Teilprojekten sind auf der Seite
www.bertelsmann-stiftung.de/patient-mit-wirkung als pdf zum Download verfügbar.
Zusammenfassung der Ergebnisse
Die Bedeutung des Internets für die aktive Suche nach Gesundheitsinformationen hat in den letzten Jahren zugenommen, rangiert aber im Bevölkerungsdurchschnitt immer noch hinter persönlichen Gesprächen mit Ärztinnen und Ärzten, Familie und Freunden sowie kostenlosen Broschüren oder Massenmedien. Wie jemand nach Gesundheitsinformationen sucht, ist individuell sehr unterschiedlich und hängt neben persönlichen und soziodemografischen Merkmalen auch von gesundheitsbezogenen Merkmalen, wie dem allgemeinem Gesundheitsbewusstsein und der Gesundheitskompetenz der Nutzerinnen und Nutzer, ab. Daneben spielen auch situative Faktoren wie der aktuelle Gesundheitszustand, Emotionen und ein wahrgenommenes Informationsdefizit eine Rolle. Letzteres kann auch in Zusammenhang mit der Arzt-Patient-Beziehung stehen, denn die situativen Faktoren liegen nicht nur in der Person selbst, sondern auch in ihrem Umfeld und den verfügbaren interpersonalen und medialen Informationsquellen. Die zur Verfügung stehenden Informationen werden vor allem nach Nützlichkeit und Glaubwürdigkeit beurteilt. Das Internet wird häufig als besonders effizient bewertet und bietet eine Vielfalt von Informationen. Der Einstieg für die Suche erfolgt dabei meist über Suchmaschinen.
Betrachtet man die Gesundheitsinformationssuche im Krankheitsfall, so kann man dabei entweder das generelle Verhalten oder das Verhalten in Bezug auf spezifische Krankheiten betrachten. Allgemein suchen Menschen vor einem Arztbesuch nach Informationen, um ihre Symptome einzuordnen und nach einem Arztbesuch, um medizinische Fachbegriffe zu verstehen, weiterführende Informationen einzuholen oder um sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. In Bezug auf das Informationsverhalten bei spezifischen Krankheiten kann man unterscheiden, ob es sich um weit verbreitete oder seltene Krankheiten bzw. um chronische oder akute Erkrankungen handelt. Chronisch erkrankte Personen setzen sich erwartungsgemäß intensiver mit ihrer Krankheit auseinander und suchen häufiger nach Gesundheitsinformationen als gesunde Personen. Oftmals haben sie jedoch Schwierigkeiten beim Auffinden von Informationen, vor allem aus schwer zugänglichen Quellen, wie z. B. Forschungsberichten und Studien. Entsprechend wünschen sie sich Unterstützung bei der Suche nach adäquaten Informationen sowie konkrete Hinweise zu verlässlichen und hilfreichen Angeboten. Zum Informationsverhalten von Betroffenen mit seltenen Erkrankungen liegen bisher nur wenige Einzelstudien vor. Aufgrund der Seltenheit sind meist nur wenige Informationen bzw. Erfahrungen im sozialen und familiären Umfeld vorhanden, weshalb Betroffene häufig Online-Selbsthilfegruppen aufsuchen.
Gesundheitsinformationen werden von einem sehr breiten Spektrum unterschiedlicher Anbieter zur Verfügung gestellt, wie z. B. Medienanbietern, staatlichen und kommerziellen Institutionen, Krankenkassen und Versicherungen, Krankenhäusern, NGOs oder Stiftungen, Selbsthilfegruppen sowie Privatpersonen. Einen Überblick über das Angebot an Gesundheitsinformationen zu erhalten, ist deshalb sehr schwierig. Gesundheitsinformationen werden über eine Vielzahl an massenmedialen und onlinebasierten Kommunikationswegen verbreitet. Die Potenziale dieser verschiedenen Kommunikationswege unterscheiden sich u. a. hinsichtlich ihrer Reichweite, der Zielgruppenspezifität, der Informationstiefe, der zugeschriebenen Glaubwürdigkeit und dem Themensetzungspotenzial. Neben der Wahl eines geeigneten Mediums ist auch die Art und Weise der Darstellung von Informationen entscheidend für die Erreichung bestimmter Kommunikationsziele, die von der Informationsvermittlung bis zur Einstellungs- und Verhaltensänderung reichen können.
Bei der Bereitstellung von Informationen sollte darauf geachtet werden, dass Risiken adäquat dargestellt werden und eine informierte Entscheidung der Patientinnen und Patienten ermöglicht wird. Neben der Präsentationsform spielen hierfür auch die zielgruppenspezifischen Voraussetzungen und individuellen Fähigkeiten der Personen eine Rolle. Dabei gilt es, unterschiedliche Zielgruppen in den Blick zu nehmen und deren individuelle Voraussetzungen zu berücksichtigen. „Tailoring“-Strategien, die Informationen auf die individuellen Voraussetzungen einzelner Personen zuschneiden, können computergestützt eingesetzt und dynamisch angepasst werden.
Zukünftig stellt sich die Frage, wie Patientinnen und Patienten das Internet zur Gesundheitsinformationssuche nutzen und welche Rolle mobile und soziale Medien dabei spielen. Zudem fehlen genauere Erkenntnisse zum Verlauf einzelner Suchepisoden und zum Verhalten im Krankheitsverlauf.